Der Ausfertigung der päpstlichen
Ernennungsurkunde geht ein um-
fangreiches Ermittlungsverfahren
voraus. An ihm ist neben Dom-
kapitel, Bischofskonferenz und
Nuntius indirekt auch die Staats-
regierung beteiligt. Ein bescheidenes
Maß an Mitsprache wird seit dem
2, Vatikanischen Konzil über die
diözesanen Räte auch dem Bistums-
volk zugestanden.
Wortlaut der päpstlichen Ernennungsurkunde
Paulus, Bischof, Knecht der Knechte Gottes entbietet dem geliebten Sohn Joseph
Ratzinger aus dem Klerus der Erzdiözese München und freising, Professor der
Theologie an der Universität Regensbitrg, dem erwählten Erzbischof des Metro-
politansitzes von München und Freising Heil und Apostolischen Segen. Unsere
Hirtensorge drängt Uns, Uns um die weiterstreckte und bedeutende Kirche von
München und Freising, die nach dem unerwarteten Tod von Julius Cardinal
Döpfner ihren Hirten verloren hat, zu bekümmern. Im Geist blicken Wir auf
Dich, geliebter Sohn: Du bist mit vorzüglichen Geistesgaben ausgestattet, vor
allem bist Du ein bedeutender Meister der Theologie, die Du als theologischer
Lehrer an Deine Hörer weise, voller Eifer und Frucht weitergegeben hast. Wir
bestellen also Dich in Übereinstimmung mit den bestehenden Verträgen kraft
Unserer apostolischen Vollmacht zum Erzhischof des vorgenannten Metro-
politansitzes von München und Freising, Wir ernennen und bestimmen Dich
dazu und legen Dir alle Rechte und Pflichten auf, die dieses Dein Amt und
diese Würde einschließen. Wir gestatten, daß Du die Weihe außerhalb Roms
von einem katholischen Bischof empfängst, dem gemäß den liturgischen Nor-
men zwei Mitkons ekranten derselben Würde und Weihestufe assistieren müs-
sen. Vorher mußt Du das Bekenntnis des katholischen Glaubens in Anwesen-
heit eines rechtgläubigen Bischofs ablegen sowie den Eid der Treue gegenüber
Uns und Unserem Nachfolger. Die angewandten Formeln, die in der gewohn-
ten Weise unterzeichnet und durch Siegel bekräftigt sein müssen, wirst Du zu
der Hl. Kongregation für die Bischöfe senden lassen. Außerdem ordnen Wir
an, daß dieser Unser Brief dem Klerus und dem Volk in der Kathedralkirche
Deiner Diözese an einem gebotenen Feiertag vorgelesen werde. Deine im Herrn
geliebten Söhne ermahnen Wir, daß sie Dich nicht nur als ihren Lehrer, son-
dern auch als ihren Leiter gerne annehmen, Deinen Anordnungen willig folgen,
Deine pastoralen Unternehmungen tatkräftig unterstützen. Zuletzt ermahnen
Wir Dich, lieber Sohn, herzlich mit Worten des heiligen Augustinus: Arbeite
auf dem Ackerfeld Gottes; mit allen Kräften mühe Dich darum, daß alle, die
Deiner Sorge anvertraut sind, in der Kirche lebendige Steine seien, vom Glau-
ben geformt, in der Hoffnung gefestigt, in der Liebe einander verbunden.
Gegeben zu Rom, bei St. Peter, am 24.. März im Jahre des Heiles 1977, im
vierzehnten Unseres Pontifikates.
Joannes Card. Villot, Staatssekretär
Marcellus Rossetti, Apost. Protonotar
Vom Lehrstuhl zum Bischofsstuhl
Am 25. März 1977, am Fest der Verkündigung des Herrn, unterzeichnete in
Rom Kardinalstaatssekretär Jean Villot jenes Dokument, mit dem Papst
Paul VI. seinen „geliebten Sohn Joseph Ratzinger aus dem Klerus der Erz-
diözese München und Freising, Professor der Theologie an der Universität
Regensburg" als Nachfolger von Kardinal Döpfner zum neuen Erzbischof von
München und Freising ernannte. Wer den Symbolgehalt vatikanischer Gesten
versteht, entdeckt selbst noch in der Datierung dieser Entscheidung eine theo-
logische Aussage. In der Verkündigung des Herrn und seines Evangeliums
besteht die zentrale Aufgabe eines Bischofs.
Als tags darauf zur Mittagszeit die Nachricht über den Äther ging, da läuteten
von allen Kirchtürmen im Erzbistum zehn Minuten lang die Glocken: Will-
kommensgruß an den neuernannten Erzbischof und Ausdruck der Freude des
über acht Monate lang verwaisten Bistums. Mit Dr. Joseph Ratzinger erhielt
das Münchner Erzbistum ja nicht nur einen international anerkannten Theo-
logen zum neuen Oberhirten. Erstmals nach 80 Jahren hatte Rom wieder
einen Altbayern und Priester aus der eigenen Diözese mit dessen Leitung
betraut. Bereits wenige Wochen später wurde der neue Münchner Erzbischof
in das Kollegium der Kardinäle aufgenommen. Mit dieser Entscheidung unter-
es Joseph Ratzinger zum Erz-
bischof von München und Treising
ernannt wurde, konnte er auf 25
fahre theologischer Lehrtätigkeit
zurückblicken. Auch als Bischof
möchte er nicht ganz von der theo-
logischen Wissenschaft Abschied
nehmen. Durch die Ernennung zum
Honorarprofessor schuf die Uni-
versität Regensburg dafür auch
rechtlich eine konkrete Möglichkeit.
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Handauflegung und Gehet sind
ivesent li ch er Bestandteil de r B i-
schofsweihe. Sie muß nach gehen-
dem Recht von einem katholischen
Bischof und zwei Bischöfen ah Mit-
konsekratoren erteilt werden, die
ihr Amt in Einheit mit Rom aus-
üben.
strich der Papst nicht nur sein Vertrauen gegenüber dem Münchner Oberhirten,
sondern auch den Rang, den man im Vatikan diesem Bischof und seiner
Diözese innerhalb der Weltkirche zuerkennt: einen Zuwachs an Bedeutung, der
seit den Tagen des Eucharistischen Kongresses von i960 und zumal in den
Münchner Bischofsjahren von Kardinal Döpfner feste Konturen angenommen
hatte.
Der Wechsel vom Lehrstuhl auf den Bischofsstuhl fiel dem Theologen Joseph
Ratzinger nicht leicht. Das mag auch an seiner theologischen Laufbahn liegen.
Der Sohn eines niederbayerischen Gendarmerie-Kommissars und einer Bäcker-
meisterstochter aus Rimsting war gerade dabei, sein erstes theologisches Se-
mester abzuschließen, da legte man ihm bereits ein Weiterstudium nahe.
Nüchterne Daten bestätigen die Richtigkeit dieses Rates: Joseph Ratzinger war
bei seiner Promotion zum Doktor der Theologie 26 Jahre alt, habilitierte sich
vier Jahre später für Fundamentaltheologie in München und wurde mit 36 Jah-
ren zum Konzilstheologen berufen.
Fiel die Entscheidung zugunsten der neuen Aufgabe auch schwer, so kam sie
doch weniger von einer bloß äußerlichen Dienstbereitschaft. Ihre Wurzeln
liegen tiefer in der umfassenden Kirchlichkeit eines Theologen, der seine
Wissenschaft — bis in die Sprache hinein — nie als bloßes Forschungsobjekt
verstand, sondern als Dienst für die pastorale Praxis. Er orientierte sich des-
halb nicht nur in der Wortwahl an dem von ihm hochgeschätzten afrikanischen
Am Morgen des 2j. Mai über-
reichte der neue Erzbischof in den
Räumen des Bischofshofes das
päpstliche Ernennungsschreiben
dem Metropolitankapitel und er-
griff damit Besitz von der Erz-
diözese. Am Vortag leistete er im
Prinz-Carl-Palais nach den Bestim-
mungen des Konkordates den
Treueeid auf die Verfassung. Das
entsprechende Dokument wurde
von Erzbischof Ratzinger, Minister-
präsident Alfons Goppel und Kul-
tusminister Hans Maier unterzeich-
net.
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Kirchenvater . Augustinus, als er unmittelbar nach der Bekanntgabe seiner
Ernennung zum Münchner Erzbischof äußerte:
„Ich bin mir bewußt, daß ich jetzt versuchen muß, ein Zugochse zu sein, und
daß ich ständig im Geschirr stehen werde; daß also die Muße der Wissenschaft
mir nur noch in ganz beschränktem Maß zur Verfügung stehen wird. Anderer-
seits ist es ein großer und schöner Auftrag, meine Heimatdiözese zu leiten, in
ihr zu ermutigen und die Antwort eines ganzen Bistums erfahren zu kön-
nen/'
Bevor freilich der neuernannte Erzbischof von seiner Diözese Besitz ergreifen
konnte, sollten noch einmal zwei Monate ins Land gehen. Erst galt es noch,
in Regensburg, wo Joseph Ratzinger seit 1969 Inhaber des Lehrstuhls für
Dogmatik und Dogmengeschichte und zuletzt auch Vizepräsident der Univer-
sität war, unaufschiebbare Aufgaben abzuwickeln. Am 23. Mai aber war es
dann soweit. Der ernannte Münchner Erzbischof nahm von seinem bisherigen
Wohnsitz in Pentling und der Pfarrei Ziegetsdorf Abschied, wo seine Eltern
begraben liegen.
An der Bistumsgrenze in Landshut wurde er von Stiftspropst Heinrich Fischer
von St. Martin, Landshut, begrüßt. Auf einer Zwischenstation in Moosburg
bereiteten weit über tausend Gläubige ihrem neuen Erzbischof einen begei-
sterten Empfang. Inzwischen warteten Tausende von Münchnern rund um
die Ramersdorfer Kirche. Herzliche Worte des Willkommens sprachen hier
Pfarrer Johannes Waxenberger, Oberbürgermeister Georg Kronawitter und
Ermin Brießmann, der Vorsitzende des Diözesanrates der Katholiken. Kapi-
tularvikar Ernst Tewes, auf dessen Schultern in den langen Monaten der
Sedisvakanz die Verantwortung für das verwaiste Erzbistum ruhte, begrüßte
Erzbischof Ratzinger im Namen der Diözesanleitung:
„Von den 71 Nachfolgern des hl. Korbinian sind Sie der elfte, der seinen
Wohnsitz in München nimmt. Im Zentrum dieser Stadt steht als überall
bekanntes Wahrzeichen der Dom Unserer Lieben Frau mit der Kathedra des
Erzbischofs. Dort ist auch der lokale Mittelpunkt der Diözese. Ihr eigentlicher
Mittelpunkt ist allerdings lokal nicht bestimmbar. Er ist jeweils dort, wo sich
Menschen in der Tiefe von Glaube, Hoffnung und Liebe bestimmen und führen
lassen."
Nach einer kurzen Maiandacht bezog Erzbischof Ratzinger den Erzbischofshof
in der Kardinal-Faulhaber-Straße, um dann drei Tage später vor Minister-
präsident Alfons Goppel den vom Bayerischen Konkordat vorgeschriebenen
Eid auf die Verfassung zu leisten — „vor Gott und auf die heiligen Evan-
gelien". Letztere freilich waren von der Protokollabteilung vergessen worden.
12
In seiner Ansprache im Prinz-Carl-Palais ging der neue Erzbischof auf die
Untersehiedenheit von Staat und Kirche und auf ihr besonderes Verhältnis
in Bayern ein:
if Unser Freistaat hat ja einen Namen: Bayern. Und das Wort von der ,Iibe-
ralitas bavarica' kennzeichnet treffend das geschichtliche Lebensgefühl unseres
Volkes, das aus seinem christlichen Erbe heraus jene Liberalität zu leben
vermochte, in der Toleranz zu Anerkennung und Anerkennung zu Toleranz
Hauptkonsekratar Bischof Stangl
von Würzburg, Weihhischof Ernst
Tewes und Erzbischof Ratzinger
während der Bischof sweihe*
geworden ist . . . Wir Bayern dürfen mit dankbarem Stolz sagen, daß sich bei
uns nach den Erschütterungen der Ära Montgelas und unzerstört durch das
tragische Zwischenspiel des sogenannten Dritten Reiches eine christliche Libe-
ralität eingespielt hat, in der der Staat sich stets sein eigenes Gewicht und den
ihm gebührenden Rang zu wahren wußte, ohne daß die Kirche darob aufhörte,
die Seelen zu prägen und im Bund mit dem Staat jene heitere Daseinsfreude
zu wecken, die sich in Bayerns Kultur so unverwechselbar ausdrückt. Daß es so
bleibe, ist mein Wunsch an diesem Tag."
Anschließend unterzeichneten Ministerpräsident, Erzbischof und Kultusminister
Hans Maier — zusammen mit Joseph Ratzinger einer der Herausgeber der
Internationalen Katholischen Zeitschrift „Communio" — das Protokoll. Daß
dabei aus dem erzbischöflichen Talarärmel ein altbayerisches Taschentuch in
weißblauer Farbe lugte, war rein zufällig.
Tags darauf, am 27. Mai, überreichte Dr. Joseph Ratzinger dem Domkapitel
die Päpstliche Ernennungsurkunde und übernahm damit offiziell die Leitung
des Erzbistums München und Freising. Wenig später stellte er sich in einer
Pressekonferenz als seiner ersten öffentlichen Handlung den Fragen der Jour-
nalisten. Dabei nannte er einen möglichst engen Kontakt zu den Seelsorgern,
die Förderung geistlicher Berufe, die Erneuerung der Katechese, die Weiter-
führung der ökumenischen Arbeit und eine behutsame, auf den konkreten
Menschen zugeschnittene Reformarbeit als Schwerpunkte eines vorläufigen
Programms. In diesem Zusammenhang verdeutlichte er auch seinen eigenen
theologischen Standpunkt:
„Ich war im Konzil mit bei denen, die darum gearbeitet haben, daß die Liturgie-
konstitution und die Reformmöglichkeiten zustande kamen. Aber ich sage
ganz offen, daß mir die Verwirklichung nicht immer glücklich und — vor
allem — menschlich einfühlsam und klug vorgekommen ist. Es gab verschiedene
Phänomene, die es den Menschen zum Teil schwer gemacht haben, wenigstens
in dieser Übergangszeit von zehn Jahren zu begreifen, daß man auf sie zu-
gehen und nicht sie verärgern möchte ... Es scheint mir auch zur gebotenen
innerkirchlichen Toleranz dieser Stunde und zur sachlichen Notwendigkeit des
christlichen Lebens zu gehören, daß wir die Fragen, die von ringenden Men-
schen kommen, ernst nehmen und versuchen, davon anzunehmen, was in der
Einheit der Kirche möglich ist."
München rüstete sich inzwischen für die Bischofsweihe und Inthronisation
seines elften Erzbischofs. Die eher nüchternen Säulen der Kathedralkirche
schmückten Gebinde aus Frühlingsblumen — eine Pracht, die lediglich durch
die Podien und Apparaturen des Fernsehens verfremdet wurde. Erstmals in der
Geschichte der deutschen Kirche konnte an diesem 28. Mai 1977 das denk-
*5
Der Apostolische Nuntius Erz-
bischof Guido Del Mestri hatte
Professor Ratzinger die päpstliche
Anfrage nach der Bereitschaft zur
Übernahme des bischöflichen Amtes
überbracht. Im Anschluß an die
Weihehandlung führte er Erz-
bischof Ratzinger zur Cathedra und
inthronisierte ihn ah neuen Ober-
hirten von München und Freising,
Wer zum Bischof geweiht wird, ist
dadurch aufgenommen in die Ge-
meinschaft der Apostelnachfolger.
Die Bischöfe, die an der Weihe-
handlung im Münchner Liebfrauen-
dom teilnahmen, verdeutlichten die
Einheit und Katholizität der Kirche
über alle Grenzen der Länder und
Rassen hinweg-
Seinen Mitarbeitern im Priesteramt
ist der neue Erzbischof kein Un-
bekannter. Wohl jeder kennt ihn
über das eine oder andere seiner
Bücher. Mehrere Weihejahrgänge
studierten gemeinsam mit ihm in
Freising und München f andere ha-
ben ihn aus den fast sieben Jahren
seiner theologischen Lehrtätigkeit
in Freising noch in bester Erinne-
rung.
Zwei der prominentesten Teilneh-
mer bei der Bischofsweihe im Lieb-
frauendom; Kardinal Joseph Höff-
ner von Köln, der Vorsitzende der
Deutschen Bischofskonferenz, und
Kardinal Alfred Bengsch von Ber~
Un.
Kardinal Bengsch von Berlin wäh-
rend der Weihehandlung, — Nach
den Bestimmungen des 2. Vatika-
nischen Konzils legen alle bei einer
Bischofsweihe anwesenden Bischöfe
dem Weihekandidaten die Hände
auf — ein Akt, der die Einheit des
Kollegiums der Bischöfe unter-
streicht, in das der Neugeweihte
aufgenommen wird.
im Rahmen der Weihehandlung
wurden Erzhischof Ratzinger die
Zeichen des bischöflichen Amtes
überreicht: die Mitra, die mit ihren
beiden Spitzen Altes und Neues
Testament symbolisiert und so ne-
ben der Würde auch die Aufgabe
eines Bischofs anzeigt: die Verkün-
digung der Botschaft; der Stab,
Hinweis auf das Hirtenamt gegen-
über dem anvertrauten Bistum; und
der Ring, Sinnbild der Verbunden-
heit des Bischofs mit seiner Diözese
und der Gemein schaff a Her Bi-
schöfe.
würdige Ereignis einer Bischofsweihe durch das Fernsehen auch draußen im
weiten Erzbistum und über dessen Grenzen hinaus miterlebt werden.
Längst vor Beginn des Weihegottesdienstes um 9 Uhr waren die wenigen
freien Plätze und Gänge im Dom überfüllt, ebenso die nahe St. Michaelskirche,
in der man das Geschehen über Bildschirm und Lautsprecher mitverfolgen
konnte. Die Sitzplätze im Dom gehörten den Repräsentanten von Staat, Stadt
und Parteien, den Vertretern von Wissenschaft und Kultur, und nicht zuletzt
den Abordnungen aus den einzelnen Pfarreien des Erzbistums.
Geleitet vom Hauptkonsekrator, dem Würzburger Bischof Josef Stangl, von
dem Apostolischen Nuntius Erzbischof Guido Del Mestri, den Mitkonsekratoren
Bischof Rudolf Graber und Weihbischof Ernst Tewes, von Kardinälen und
zahlreichen Bischöfen aus dem In- und Ausland, zog der Weihekandidat zum
Presbyterium, wo nach dem Wortgottesdienst und dem Hymnus um den
Heiligen Geist die eigentliche Weihehandlung begann.
In dem vom Münchner Domchor mit Monsignore Max Eham und dem Regens-
burger Domchor unter Leitung von Prälat Georg Ratzinger, dem Bruder des
neuen Erzbischofs, musikalisch gestalteten Gottesdienst trug zunächst der
Münchner Pfarrer Georg Urzinger, ein Kurskollege des Weihekandidaten, als
Vertreter des Erzbistums, dem Hauptkonsekrator die Bitte vor, Dr. Joseph Rat-
zinger zum Bischof zu weihen. Nach dem Versprechen der Treue zur bischöf-
lichen Aufgabe und gegenüber dem Papst und der Anrufung aller Heiligen
löbi
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Zehn Monate hatte die Erzdiözese
nach dem Tod von Kardinal Döpf-
ner auf einen neuen Erzbischof
warten müssen. Dagegen dauerte
es nach der Bischofsweihe von
Erzhischof Joseph Ratzinger nur
vier Wochen bis zu seiner Kardi-
nalsernennung. Am 2j. Juni setzte
ihm Papst Paul VI. zusammen mit
vier weiteren Kardinälen das Kar-
dinalsbirett auf.
folgte der wohl ergreifendste Teil der Bischofsweihe: dem neuen Erzbischof
wurde das geöffnete Evangelienbuch auf das Haupt gelegt — schweigend, und
doch gerade so beredter Ausdruck seiner innersten Aufgabe, das Evangelium
allen zu eröffnen und unverfälscht zu verkünden. Unter Schweigen schloß sich
die Handauflegung durch den Hauptkonsekrator an, den Würzburger Bischof
Josef Stangl, nach dem Tod von Kardinal Döpfner interimsmäßig Vorsitzender
der Bayerischen Bischofskonferenz. Dann folgten der Regensburger Bischof
Rudolf Graber, in dessen Diözese der neue Erzbischof zuletzt als Theologe ge-
wirkt hatte, Kapitularvikar Ernst Tewes und die übrigen Bischöfe* Dem ab-
schließenden Gebet mit der Handauflegung, dem zentralen Weihevorgang,
schloß sich die Salbung mit Chrisam an, Zeichen der bischöflichen Teilnahme
Papst Paul VI. würdigte im Rah-
men des Konsistoriums vor allem
das theologische Werk des neuen
Münchner Erzbischofs, der dabei
de u tlich gemacht habe, w ie sich
Forschung und freie Übereinstim-
mung mit dem kirchlichen Lehramt
vereinen.
Münehen-Riem am i. Juli 1977:
Großer Bahnhof für Erzhischof
Raizinger nach der Rückkehr vom
Konsistorium in Rom. In Vertre-
tung des Ministerpräsidenten
wurde er hier von justizminister
Dr, Karl Hillermeier begrüßt.
Für den bayerischen Ministerpräsi-
denten Alfons Goppel, mit seiner
Frau Gertrud auch Gast hei der
Kardinalserhehung in Rom, war es
klar: der Kardinatshut war nicht
nur eine persönliche Auszeichnung
für den Münchner Erzbischof, son-
dern auch eine römische Anerken-
nung für München und ganz Bay-
ern,
am Priesteramt Christi, sowie die Übergabe des Evangeliums, von Ring, Mitra
und Bischofsstab als Zeichen des bischöflichen Amtes. Nuntius Guido Del Mestri
führte den neugeweihten Erzbischof zu seiner Cathedra, dem bischöflichen
Stuhl, wo er nach dem Friedenskuß seiner Mitbrüder im Bischofsamt das Treue-
versprechen seines Domkapitels, der Professoren, der Vertreter der Diözesan-
verwaltung, der Dekane, Pfarrer und Laiengremien entgegennahm.
In seiner anschließenden Predigt deutete Erzbischof Ratzinger die Aufgabe
des bischöflichen Amtes. Die Erinnerung an seinen Vorgänger verband er mit
einem Ausblick auf die Zukunft:
„Meine Gedanken kehren noch einmal zu der Stunde zurück, in der wir
Kardinal Döpfner zu Grabe geleitet haben. An jenem leicht verhangenen
Sommertag habe ich mitten in dem Schmerz des Abschieds doch auch sehr
stark und voller Dankbarkeit empfunden, wieviel Glaube noch in unserem
München lebt — gewiß nicht zuletzt dank seines Vorbilds ... Ich kann an
diesem Tag der Frage nicht ausweichen, ob das Gesicht unseres Landes auch
dann noch vom Glauben geprägt sein wird, wenn man einmal mich zu meinem
letzten Weg geleitet/'
Dann übernahm Erzbischof Ratzinger, der zu Beginn der Weihehandlung zum
Zeichen seines totalen Angewiesenseins auf Gott ausgestreckt zu Füßen des
Altares lag, den Vorsitz der Eucharistiefeier, die in einer großen Prozession
hinüber zur Mariensäule am Marienplatz ihren Ausklang fand.
Hier, zu Füßen der Patrona Bavariae, faßte der neugeweihte Bischof die An-
liegen der Stunde in einem Gebet an Maria zusammen:
„Die Wege unseres Landes kommen von dir und gehen durch dich zu Ihm,
der der Weg selber ist. So bitten wir dich in dieser Stunde: Sei die Patronin
unseres Landes, unseres Bistums auch in dieser Zeit. In dem Streit der Parteien
sei du Versöhnung und Friede; in den Weglosigkeiten unserer offenen Fragen
zeige uns den Weg; die Streitenden sänftige, die Müden erwecke; gib den
Mißtrauischen ein offenes Herz, den Verbitterten Trost, den Selbstsicheren
Demut, den Ängstlichen Zuversicht, den Stürmern Besonnenheit, den Zau-
dernden Mut, uns allen aber die tröstende Zuversicht deines Glaubens/'
Da war ein ins Gebet gefaßter Anruf, der sich an die Patronin dieses Landes
wandte, die hier im Mittelpunkt der Stadt seit fast 350 Jahren ihren festen
Platz hat, ebenso aber auch an die Menschen im Bistum selbst. Für sie wollte
er ja, ohne sich durch überdiözesane Aufgaben mehr als unbedingt nötig
anderweitig verpflichten zu lassen, in erster Linie da sein, wie er es in einem
Gespräch äußerte:
„Angesichts der großen Aufgabe / die das Erzbistum München und Freising
mit mehr als zwei Millionen Katholiken in der heutigen Situation mit sich
Durch sein Amt, so sagt das 2. Va-
tikanische Konzil, hat der Bischof
Anteil am Amt des »einzigen Mitt-
lers Christus«; es ist ein Amt, das
am deutlichsten in der eucharisti-
schen Feier zum Ausdruck kommt.
Hier handelt der Bischof in der
Person Christi, hier verkündet er
dessen Geheimnis,
24
Kardinal Raizinger in der Münch-
ner St. -Micha elskir che beim großen
Papstgottesdienst, wenige Tage
nach seiner Rückkehr vom Konsi-
storium in Rom.
Nach der Rückkehr von der Kar-
dinalserhebung in Rom gab die
Staatsregierung im Prinz- Carl- Pa-
lais einen Empfang für Kardinal
Joseph Ratzinger*
bringt, ist es mein Wunsch, mich mit allen Kräften dieser mir anvertrauten
Ortskirche zu widmen und für überregionale Aufgaben nicht mehr an Energie
abzweigen zu müssen, als aus der inneren Zugehörigkeit unseres Bistums zur
Gesamtkirche und zum Ganzen der Welt von heute folgt/'
Wiederum war kaum eine Woche vergangen, als dieser verständliche Wunsch
aus Rom selbst eine deutliche Korrektur erfuhr: für den 27. Juni hatte Papst
Paul VI, eine Versammlung der Kardinäle — ein Konsistorium — einberufen,
um bei dieser Gelegenheit fünf neue Mitglieder in das Kollegium der Kar-
dinäle aufzunehmen. Unter den Erwählten war nicht nur, als Vertreter der
verfolgten Kirche, der Prager Administrator Frantisek Tomasek; der schwarz-
afrikanische, an der Kurie tätige Erzbischof Bernardin Gantin, als Gast von
der Bischofsweihe des neuen Münchner Oberhirten noch in guter Erinnerung;
der Kurientheologe Luigi Ciappi und der bisherige Substitut im päpstlichen
Staatssekretariat, Giovanni Benelli — sondern auch Erzbischof Dr, Joseph Rat-
zinger, für den eben erst der bischöfliche Alltag begonnen hatte. Das war eine
Entscheidung des Papstes, von der der Münchner Erzbischof uneingeschränkt
gestand, daß sie ihn selbst ein wenig erschrecken ließ, in der er aber vor allem
eine Auszeichnung für das eigene Erzbistum und Möglichkeiten des Wirkens
sah, die seiner Diözese wieder zugute kommen würden.
Bislang waren nur sieben Bischöfe von München und Freising in das Kardinals-
kollegium aufgenommen worden, die letzten vier allerdings in ununterbro-
chener Reihenfolge. Die Reihe der Purpurträger unter den Freisinger Bischöfen
eröffnete Bischof Johannes III. Grünwalder (t 145 2 )/ gefolgt von Johannes
Theodor von Bayern (t 1763) und Karl August von Reisach, der nach neun-
jährigem Wirken als Erzbischof von München als Kurienkardinal nach Rom
berufen wurde (t 1869). Seit Franziskus von Bettinger, der von 1909 bis 1917
die Erzdiözese leitete und 1914 zum Kardinal ernannt worden war, gehörten
alle Münchner Erzbischöfe dem Kardinalskollegium an.
Hunderte von Pilgern, darunter der engere Kreis der Kardinalsfamilie — seine
beiden Geschwister, Mitarbeiter und Studenten aus den Regensburger Jahren,
Vertreter der diözesanen Räte, des Domkapitels und der Diözesanleitung — ,
begleiteten den Münchner Erzbischof zum Konsistorium vom 27. Juni 1977,
das im Zusammenhang mit der Rebellion des französischen Erzbischofs Marcel
Lefebvre gegen die konziliare Reform dramatische Züge aufwies. Würde es zur
Spaltung kommen, der Papst zur Exkommunikation des Rebellen schreiten?
So beschwor denn auch Papst Paul VI. vor den rund achtzig Kardinälen die
Einheit der Kirche und die Treue, auf die er vor der Überreichung der roten
Birette im Öffentlichen Konsistorium vor Tausenden von Pilgern noch einmal
einging:
„Das Konsistorium, das heute morgen nach alter Tradition im Apostolischen
Palast stattgefunden hat, findet hier in der Aula seine Fortsetzung und seinen
krönenden Abschluß. Der einzigartige Charakter dieser abschließenden Feier
des Konsistoriums veranlaßt Uns zu einigen Überlegungen über ein Thema,
das grundlegend und spezifisch für diese Feier zu sein scheint: die Treue 1
. . . Wir bestätigen diese Treue auch Ihnen, Kardinal Ratzinger, dessen quali-
fizierte theologische Lehrtätigkeit auf angesehenen Lehrstühlen deutscher Uni-
versitäten und in zahlreichen wertvollen Veröffentlichungen gezeigt hat, wie
die theologische Forschung — auf dem von den Meistern aufgezeigten Weg
der ,fides quaerens intellectum' — nie von der aufrichtigen, freien und schöpfe-
rischen Zustimmung zum kirchlichen Lehramt getrennt werden kann und darf,
welches das Wort Gottes authentisch auslegt und verkündet. Sie leiten nun
vom erzbischöflichen Stuhl in München und Freising eine erlesene Herde auf
Die Gastgeber beim Empfang der
Staatsregierung für den neuen
Kardinal: Ministerpräsident Atfons
Goppel und Frau Gertrud, neben
ihnen der evangelische Lnndes-
bi schof Dr. Johannes Hanselmann,
den Wegen der Wahrheit und des Friedens, wobei Wir Sie mit Unserem
großen Vertrauen begleiten/'
Papst Paul VI, wußte, was er da über das theologische Wirken des Münchner
Kardinals sagte: er liest dessen Werke in. deutscher Sprache, Weiterer Höhe-
punkt dieser römischen Tage und zugleich ihr Abschluß war nach der Über-
reichung des Palliums, des Abzeichens der erzbischöflichen Würde, der Papst-
gottesdienst am Fest Peter und Paul in Konzelebration mit den neuernannten
Kardinalen. In dessen Verlauf wurde den neuen Kardinälen der Kardinalsring
überreicht.
Einen Tag nach den bayerischen Pilgern waT Kardinal Ratzinger am i. Juli
nach München zurückgekehrt. Nach einem Empfang durch die Staatsregierung
im Prinz-Carl-Palais waren eine Woche später noch einmal die Vertreter der
Gemeinden, die Repräsentanten des öffentlichen Lebens und der Kirchen nach
München geladen, um nach dem großen Papstgottesdienst in St. Michael bei
einem Festakt im Kongreß-Saal des Deutschen Museums die Kardinals-
ernennung des Münchner Erzbischofs zu feiern.
Die Front des nüchternen Saales schmückten an diesem Tag großflächige Farb-
bilder mit Darstellungen aus der kirchlichen Kunst im Raum des Erzbistums -
vom Forstenrieder Kreuz aus dem 13. Jahrhundert über die Leinberger Ma-
donna und den Freisinger Dom bis zum Wendelsteinkircherl. Zu den Klangen
von alten bayerischen Meistern und Volksliedern entboten Vertreter der
Diözesanleitung, der Priester und Laien, des Staates, der Stadt und der evan-
gelische Landesbischof Johannes Hanselmann dem Münchner Kardmal ihre
Glückwünsche. .
Kardinal Ratzinger: „Mein Weg hier in München hat fast mit einer Überzahl
von Festen begonnen, die mich ermutigt und bestärkt haben, denen aber nun
die harte Arbeit des Alltags folgen muß. Gehen wir gemeinsam an drese Arbeit,
und Gott möge uns allen seinen Segen dazu geben."
Schon im Oktober führte ihn freilich sein Weg, zusammen mit zahlreichen
Pilgern noch einmal nach Rom zum Ad-limina-Besuch der bayerischen Bischöfe
und zur Besitzergreifung seiner römischen Titelkirche Santa Maria Consolatrice
- einer Pfarrkirche in einem römischen Arbeiterviertel, die erst bei Kriegs-
ende erbaut und zuletzt Titelkirche eines madegassischen Kardinals war. „Wann
immer der Kardinal kommt, ist er hier der Pfarrer", hatte Don Ennio Appi-
gnanesi Pfarrer von Santa Maria Consolatrice, schon unmittelbar nach Bekannt-
gabe von Kardinal Ratzingers Titelkirche gesagt. Darauf können freilich mit
mindestens gleichem Recht die Gemeinden im Erzbistum pochen, deren oberster
Hirte ihr Erzbischof ist. In seinem Wappen steht, nach dem alten Brauch der
Bischöfe von Freising und München, auch der Korbiniansbär mit dem Pack-
sattel _ sinnfälliges Zeichen für die Last des bischöflichen Amtes, das durch
das Rot des Hutes und der Quasten, den Verweis auf Kardinalswürde und
weltkirchliche Verantwortung, noch einmal unterstrichen wird. Der Erzbischof
von München und Freising ist Lastträger Gottes nicht nur innerhalb seiner
Diözese. Doch da ist auch die Muschel, der Verweis auf den unerschöpflichen
Quell lebendigen Wassers - Gottes Zusage an den Menschen -, aus dem sein
pilgerndes Volk mit seinem Hirten inmitten einer zermürbenden Zeit täglich
neue Kraft schöpfen kann.
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